Sachverhalt:
Im J Dent Res. 2016 Jan;95(1):43-9. doi: 10.1177/0022034515608832, publizieten die vorgenannten Autoren unter Führung von Dr. J. Derks, Deutschland die folgende Studie:
“Effectiveness of Implant Therapy Analyzed in a Swedish Population: Prevalence of Peri-implantitis”
Gemäss Abstract wurden dabei die folgenden Ergebnisse erzielt:
“Peri-implantitis is an inflammatory disease affecting soft and hard tissues surrounding dental implants. As the global number of individuals that undergo restorative therapy through dental implants increases, peri-implantitis is considered as a major and growing problem in dentistry. A randomly selected sample of 588 patients who all had received implant-supported therapy 9 y earlier was clinically and radiographically examined. Prevalence of peri-implantitis was assessed and risk indicators were identified by multilevel regression analysis. Forty-five percent of all patients presented with peri-implantitis (bleeding on probing/suppuration and bone loss >0.5 mm). Moderate/severe peri-implantitis (bleeding on probing/suppuration and bone loss >2 mm) was diagnosed in 14.5%. Patients with periodontitis and with ≥4 implants, as well as implants of certain brands and prosthetic therapy delivered by general practitioners, exhibited higher odds ratios for moderate/severe peri-implantitis. Similarly, higher odds ratios were identified for implants installed in the mandible and with crown restoration margins positioned ≤1.5 mm from the crestal bone at baseline. It is suggested that peri-implantitis is a common condition and that several patient- and implant-related factors influence the risk for moderate/severe peri-implantitis.”
Dr. Derks selber lehrte seither die Studienergebnisse, die von der Fachwelt bestaunt und von der Firma Straumann AG geschickt vermarktet wurden:
Die Aussage, dass bestimmte Marken von Implantaten ein stärkeres Auftreten von Peri-Implantitis zeigen, wurde von Mitbewerbern der Firma Straumann AG (Schweiz) bezweifelt und die Frage der Richtigkeit (Aufrichtigkeit) der Publikation wurde einer gerichtlichen Prüfung in Deutschland unterzogen.
Dabei wurde festgestellt, dass durch einfache Manipulationen an der Studiengruppe selber diese sonderbaren Ergebnisse erzielt wurden. Die Manipulation ware nicht nachweisbar gewesen, wenn nicht der gleiche Autor (Derks) an anderer Stelle betreffend der gleichen Patientengruppe andere Aussagen gemacht, und nicht andere Zahlen genannt hätte. Erst in der Zusammenschau beider Studien konnte nachgewiesen werden, dass die Ausagen (und damit die Publikation) falsch sind.
Somit kam das Landgericht Hamburg zu einem eindeutigen und negativen Ergebnis betreffend dieser Falschpublikation. Dieses Urteil wird an dieser Stelle redigiert abgebildet. Eine weitere Kommentierung des Urteils erübrigt sich.
Das Urteil
Nr:
JURE160012572
LG Hamburg 15. Zivilkammer
,
Beschluss
vom
21. März 2016
, Az: 315 O 87/16
Langtext
Tenor
I. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung – der
Dringlichkeit wegen ohne mündliche Verhandlung – bei Meidung eines für
jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu €
250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft
bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall bis zu 2 Jahren,
verboten,
im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs, für S.-Implantate
5) mit dem Hinweis zu werben, dass D. in seiner Studie "Effectiveness
of implant therapy in Sweden" für die Untersuchung des Risikos der
Periimplantitis 427 Patienten zufällig ausgewählt hat,
wie jeweils (Ziffern 1 - 5) geschehen in der als Anlage beigefügten Werbeunterlage.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens nach einem Streitwert in Höhe von € 500.000,--.
Gründe
Die Schutzschrift von Rechtsanwalt M. vom 24. Februar 2016 hat bei der Entscheidung der Kammer vorgelegen.
Der Unterlassungsanspruch rechtfertigt sich hinsichtlich
aller fünf Anträge gemäß den §§ 8, 3, 5 UWG. Die streitgegenständlichen
Werbeaussagen sind irreführend.
1. Die streitgegenständlichen Aussagen in der Grafik zu Antrag 1. basieren auf den Zahlen, die J. D. et. al in dem Aufsatz „Effectivness of implant therapy analyzed in a swedish
population: prevalence of peri-implantitis“ in der Tabelle 5
veröffentlicht hat. Daraus ergibt sich, dass die Zahlen statistisch
nicht signifikant sind. Denn für sämtliche Zahlen ist ein sog.
Konfidenzintervall angegeben. Bei den angegebenen Werten handelt es sich
aber lediglich um "einfache" Mittelwerte. Aus einem Vergleich von
Mittelwerten kann indes nicht abgeleitet werden, ob das gefundene
Ergebnis statistisch signifikant ist. Hierfür bedarf es vielmehr der
Berücksichtigung des sogenannten Konfidenzintervalls, das in der Medizin
üblicherweise mit 95% angesetzt wird. Das 95%ige-Konfidenzintervall ist
der Bereich, der bei unendlicher Wiederholung eines Zufallsexperiments
mit statistischer Signifikanz die wahre Lage des jeweiligen Parameters
erschließt. Dies hat der von der Antragstellerin beauftragte Gutachter
Prof. H. (Anlage Ast. 9) erläutert:
Allerdings weisen die in der Referenz 1 in Tabelle 5
genannten 95%-Konfidenzintervalle klar darauf hin, dass diese
Unterschiede nach den üblichen Maßstäben der Medizin
(Irrtumswahrscheinlichkeiten für den Fehler I. Art, auch
Signifikanzniveau genannt, von 5 % oder 1 %) nicht statistisch
signifikant unterschiedlich sind, denn die 95%-Konfidenzintervalle der
beobachteten Periimplantationshäufigkeiten der verschiedenen Hersteller
sind angesichts der kleinen Fallzahlen sehr weit und überlappe sich
erheblich. (…) Es widerspricht aber den anerkannten Maßstäben der
medizinischen Wissenschaft aus statistisch nicht signifikanten
Unterschieden spezifische Produktempfehlungen herzuleiten.
Soweit die Antragsgegnerin demgegenüber auf die
Stellungnahme von W. und H. (Anlage S 6) verweist, spricht diese nicht
gegen die konkrete Aussage von Prof. H., sondern stellt nur allgemein
das Konzept der 95%-Konfidenzintervalle in Frage. Im Übrigen werden die
Ergebnisse von Prof. H. auch durch das Statement von M. A. vom 19.
Februar 2016 (Anlage Ast. 10) gestützt.
2. Die mit dem Antrag zu 2. angegriffene Aussage
Die Ergebnisse dieser Studie sind für jene Zahnärzte und
Patienten sehr relevant, die ihre Implantatwahl auf unabhängige
klinische Daten stützen.
Die streitgegenständliche Aussage suggeriert den
angesprochenen Adressaten, dass es sich bei den in der Werbeunterlage
vorgestellten Ergebnissen in Bezug auf das Risiko einer Periimplantitis
um Daten handelt, die wissenschaftlich belegt und für die Auswahl eines
Implantatsystems relevant sind. Wie jedoch vorstehend dargelegt, sind
die von der Antragsgegnerin herausgestellten Ergebnisse der D. Studie
für die Implantatwahl nicht wissenschaftlich relevant. Denn die
dargestellten Ergebnisse sind statistisch nicht signifikant und damit
als zufällig anzusehen.
3. Die mit dem Antrag zu 3. angegriffene Aussage:
"Diese Ergebnisse verleihen den bereits
veröffentlichten Daten, die die hohen Erfolgsraten mit S.-Implantaten
belegen, mehr Gewicht."
Mit dieser Aussage führt die Antragsgegnerin die
angesprochenen Verkehrskreise über die Vorteile ihrer Implantate in die
Irre, immer unter Berücksichtigung des Umstands, dass die behaupteten
Werte statistisch nicht signifikant sind.
4. Mit der unter 4. des Tenors verbotenen Grafik führt
die Antragsgegnerin die angesprochenen Verkehrskreise ebenfalls in die
Irre:
Die Behauptung, dass für die D. Studie "427 Patienten
zufällig ausgewählt wurden", ist falsch. Für die Untersuchung zum
Auftreten der Wahrscheinlichkeit einer Periimplantitis wurde die
ursprünglich randomisierte Kohorte auf einen Bruchteil reduziert. Es
waren nur 427 Patienten auswertbar, die aber nicht dem zufällig
ausgewählten Studienkollektiv entsprachen. Mit der Angabe wird
suggeriert, als wären alle Patienten der zufällig ausgewählten
Stichprobe tatsächlich ausgewertet worden. Dies ist falsch und erweckt
eine statistisch Stabilität und Belastbarkeit der Studiendaten, die
ihnen nicht zukommt.
Dass die Zahl der zufällig ausgewählten Stichprobe bei
ca. 900 Patienten lag und hiervon aufgrund verschiedener Gründe am Ende
nur 427 Patienten ausgewertet wurden, ergibt sich aus dem Aufsatz von J.
D. (Anlage Ast. 6) unter der Überschrift "Patient samples". Hier ist
nicht von 427 zufällig ausgewählten Patienten die Rede. Prof. H. hat in
seiner Stellungnahme die Vorgehensweise bei der Patientenauswahl und die
damit einhergehenden Probleme wie folgt beschrieben (Anlage Ast. 9).
"Die 2. Abbildung gibt an, dass aus dieser
Grundgesamtheit von ~ 25000 Patienten 427 Patienten zufällig ausgewählt
wurden. Dies ist so nicht richtig dargestellt, weil die als 1.Referenz
angeführte Publikation es ganz anders darstellt. Danach ergibt sich
folgendes Bild: von den 4716 Patienten der Stichprobe erteilten 2765
(58,6%) Patienten ihre Zustimmung nach Aufklärung (1.Schritt). Aus
diesen 2765 Patienten wurde eine Stichprobe von 900 Patienten gezogen,
die eingeladen wurde, an einer kostenfreien zahnärztlichen Untersuchung
neun Jahre nach Implantation teilzunehmen. 596 (66,22%) der 900
ausgewählten Patienten nahmen an der Nachuntersuchung teil. Nach
Ausschluss weiterer sechs Patienten gingen in die Auswertung 588
Patienten ein (s.Ref. 1. S.44, z.B.Tab.1). Da jedoch nur von 427
Patienten bewertbare Röntgenbilder aus dem Jahre 2003 vorlagen,
erfolgten die wesentlichen Auswertungen zur Perimplantitis,
u.a. die Ergebnisse, die in dem Werbeblatt zitiert werden, nur an
diesen 427 Patienten, d.h. an weniger als 50% (genau: 47,4%) der
Zufallsstichprobe von 900 Patienten (2.Schritt). Die Darstellung im
Werbeblatt ist daher irreführend, denn sie erweckt den Eindruck dass
hier die Ergebnisse von 427 zufällig ausgewählten Patienten aus der
Grundgesamtheit aller im Jahr 2003 vorgenommenen Zahnimplantationen in
Schweden dargestellt werden. Zufallsstichprobe heißt ja, dass die
Ergebnisse dieser Stichprobe auf die Grundgesamtheit verallgemeinert
werden dürfen. Das ist hier aber nachgewiesenermaßen nicht der Fall, da
zum einen nur bestimmte Altersgruppen ausgewählt wurden, und es zudem
noch eine Nichteilnehmerrate in Höhe von 52,6 % (bezogen auf die
Stichprobe von 900) gab. Zusätzlich muss hier berücksichtigt werden,
dass die Einwilligungsrate zur Teilnahme an der Studie nur 58,6%
betrug."
Damit ist nach Auffassung der Kammer belegt, dass die
streitgegenständliche Grafik die angesprochenen Verkehrskreise in die
Irre führt.
5. Damit ist auch belegt, dass die Aussage, dass
427 Patienten zufällig ausgewählt
wurden, als irreführend zu beurteilen und der Antrag zu 5. begründet.